Geschichtenerzähler

Kurzgeschichten, Lesungen

Hinter dem Vorhang ist Krieg

Frauke Schuster

03.05.2023 4 min

Zusammenfassung & Show Notes

Frauke Schuster, geboren 1958, verbrachte den Großteil ihrer Kindheit in Kairo, Ägypten. Später studierte sie in Deutschland Chemie und arbeitete anschließend für eine Chemie-Fachzeitschrift. Frauke Schuster schreibt Krimis und andere Romane, teils unter Pseudonym, sowie Kurzgeschichten auf Deutsch und Englisch. 

Geschrieben von Frauke Schuster .::. Gelesen von Alexander Beer .::. Bilder und Musik von pixabay .::. Transkript automatisiert von auphonic KI 

Transkript

Frauke Schuster dahinter. Hinter dem Vorhang der Krieg, morgens ein Knall, Scheiben klirren. Das Mädchen schreckt aus dem Schlaf, schaut zum Fenster. Der Vorhang wackelt, Kairo in den 60ern ist laut, immer. Aber nicht so laut, normalerweise, Der Atem des Mädchens schnell, die Bomber der Israelis nahe. Zu nahe, sie wickelt sich in die Bettdecke, den Blick zum Fenster. Beruhigt sich, bebt nicht mehr, die Stimmen der Eltern im benachbarten Zimmer aufgeregt, bemüht leise, dann Stille. Hinter dem Vorhang der Krieg, Alltag, Vormittag, Mädchen im Klassenzimmer, Aufsatz. Sie mag Sprachen Deutsch, Französisch, Arabisch, sie beugt sich über das Blatt, die Zunge zwischen den Zähnen, Sie schreibt über den letzten Sonntag, sie fuhren nach Dahur. Die gelben Wüstenhunde schliefen im Sand. Rote Pyramide und Knickpyramide. Zwischen den Monumenten sucht sie nach Schätzen, träumt von einem spektakulären Fund, Tutanchamun, Statuen, Gold, Sirene, An- und abschwellend, Heulton. Die Köpfe der Schüler rücken hoch. Fenster auf und Vorhänge zu, befiehlt der Lehrer. Mädchen steht auf, öffnet das Fenster. Der Alarm jetzt ohrenbetäubend, rasch zieht sie den Vorhang mit dem Blumenmuster zu, die Fenster müssen offen stehen wegen der Druckwellen, die sonst die Scheiben splittern lassen. Das weiß doch jedes Kind. Kein Füller bewegt sich, alle warten auf die Flieger. Das Brummen am Himmel, später die Bomben, das Staccato der ägyptischen Flag, Bis zum Dauerton der Sirene, eine Minute, Entwarnung, vorerst, Hinter den Vorhang der Krieg, Alltag, abends, Mutter trägt die Teller in die Küche, das Mädchen holt das Geschichtsbuch, wenig Lust auf Hausaufgaben, aber sie ist brav, fleißig. Das Mädchen sieht aus dem Fenster. Unten auf der Straße Autos, die Scheinwerfer dunkel angemalt oder zugeklebt, ist Vorschrift. Mutter schiebt das Mädchen zurück, zieht den schwarzen Vorhang zu. In der Wohnung Verdunkelung, auch Vorschrift. Der Vater dreht das Radio an, Deutsche Welle. Die Lampe über den Tisch flackert, erstirbt, das Radio verstummt. Stromausfall, Mutter zündet Kerzen an. Kerzen Streichholz in jedem Zimmer, außer bei den Kindern, Mädchen legt das Buch beiseite, nimm Papier und Buntstifte, malt Flugzeuge über Palmen, über dem Haus das tiefe Brummen, die Bombe, Hinter dem Vorhang der Krieg, Alltag. 55 Jahre später Deutschland, die Frau näht an einem Vorhang, zart, grün und weiß, fast transparent. Sie denkt an Kairo, in den 60ern. Ägyptisch israelischer Abnutzungskrieg. Vorhänge, die nachwackeln, Vorhänge, die geschlossen werden, Verdunkelung, damals, als der Vater in Ägypten arbeitete, als die Familie am Nil wohnte, als sie wusste, wie sich Flag anhört, aber nicht, wie man das Wort schreibt. Nähmaschine rattert, im Hintergrund der Fernseher spricht von Krieg, von Explosionen, Bomben, die auf Häuser fallen, Ukraine. Vorhang ist fertig, die Frau hängt ihn vors Fenster. Hübsch, Fernsehen die nächsten Explosionen. Hinter dem Vorhang der Krieg. Weiter entfernt als damals in Kairo und doch erschreckend nah. Alltag.